Tragbarkeitszins von 5% – ist das noch richtig?

4.2.2020 – Seit Jahren leben wir in der Schweiz mit einem rekordtiefen Zinsniveau. Viele Hypotheken weisen heute einen Zinssatz von um die 1% oder gar darunter auf. Will aber ein Privatkunde ein neues Eigenheim erwerben, so rechnet ihm die Bank die Tragbarkeit aus. Nebst Unterhalt- und Nebenkosten sowie allfälligen Amortisationen wird dabei die Zinsbelastung kalkuliert und die gesamte Kostenbelastung ins Verhältnis zum Einkommen gesetzt. Die meisten Finanzierungsinstitute wenden dabei einen Schuldzinssatz von 5% für die Tragbarkeitsrechnung an. Diese Praxis schliesst viele Menschen vom Kauf einer Immobilie aus. Denn als Folge der tiefen Zinsen sind die Immobilienpreise kräftig gestiegen. Wohnungen und Häuser sind für viele unerschwinglich geworden – insbesondere für junge Familien.

Ist diese Praxis noch tauglich für den Alltag? Das folgende kurze Beispiel soll die Situation verdeutlichen: Eine Familie interessiert sich für eine Liegenschaft mit einem Verkaufspreis von CHF 1 Mio. Sie plant die Aufnahme einer Hypothek von CHF 700’000. Bei den heutigen Zinssätzen müsste sie mit effektiven Zinskosten von rund CHF 7’000 pro Jahr rechnen (bei einem Zinssatz von 1%). In der Tragbarkeitsrechnung würden aber kalkulatorische Zinsen von CHF 35’000 berücksichtigt und das benötigte Einkommen läge bei rund CHF 140’000 bis CHF 150’000. 

Weshalb wird am hohen Zinssatz für die Tragbarkeitsrechnung festgehalten? Der kalkulatorische Zins verfolgt nicht primär das Ziel, Kreditnehmer vor sich selbst zu schützen. Vielmehr ist er ein politisches Instrument, um die Kreditgeber zu zügeln. Deshalb verschärfte die Bankiervereinigung (SBVg) die Anforderungen im Zuge des Baubooms auf Druck der Politik, der Aufsichtsbehörden und der Nationalbank. Der kalkulatorische Zins soll dem langfristigen Mittelwert der Hypothekarsätze entsprechen und der lag über mehrere Jahrzehnte gesehen um die 4,5% bis 5%. Erst kürzlich analysierte die Nationalbank die Marktsituation bei den Wohnrenditeliegenschaften. In ihrem Finanzstabilitätsbericht warnt sie davor, dass in 59% der Fälle, die Mieteinnahmen die Hypothekarkosten bei einem Zinssatz von 5% nicht mehr decken würden – ein neuer Rekordwert. 

Eine Senkung der Tragbarkeitskriterien würde zu einer Erhöhung der Nachfrage im Immobilienmarkt führen und damit zu einer Anheizung der Preise. Daran ist die Politik nicht interessiert. An den Tragbarkeitskriterien wird auf absehbare Zeit also kaum gerüttelt.