Aktienmärkte stabilisieren sich – Ende der Baisse oder Bärenmarktrally?

15.10.2022 – In den letzten Wochen sind die Aktienmärkte stark unter Druck gestanden und es wurden in den wichtigsten Indizes neue Tiefs im Jahresverlauf notiert. In den letzten Tagen stabilisierten sich die Aktienpreise aber und konnten sich von den Tiefstständen lösen. War’s das nun mit der Baisse? Oder stehen wir am Start einer Bärenmarktrally wie im Frühsommer?

Natürlich ist eine seriöse Antwort darauf kaum möglich und es handelt sich hier auch nicht um eine Anlageempfehlung. Wir möchten aber auf zwei Faktoren hinweisen, die uns derzeit «stören» und aus unserer Sicht deshalb eher von einer möglichen Bärenmarktrally auszugehen ist.

Entwicklung von Inflation und Zinsen

Die Inflationsraten sind weiterhin sehr hoch. In Europa erreichten die letzten publizierten Inflationsraten neue Höchststände. In Deutschland liegt beispielsweise die Jahres-Inflationsrate im September bei 10%. Ein solcher Wert wurde in unserem nördlichen Nachbarland seit 70 Jahren nicht mehr erreicht. In den USA sind die Inflationsraten in den letzten paar Monaten leicht gesunken, notieren aber weiterhin sehr hoch und weit entfernt von den Zielen der US-Notenbank. Die vielbeachtete Kernrate stieg zuletzt gar auf einen Rekordwert von 6,6% (dies ist die Inflation ohne Berücksichtigung von Energie- und Lebensmittelpreisen). Die Inflation nimmt in den USA also wohl nur oberflächlich betrachtet ab.

Damit ist weiterhin mit steigenden Leitzinsen in den USA und in Europa zu rechnen. Dies dürfte auch das Zinsniveau bei den längeren Laufzeiten weiter nach oben hieven und die Obligationenkurse weiter belasten. Steigende Zinsen (insbesondere bei längeren Laufzeiten) sind Gift für Aktienkurse und dürften daher weiterhin eine bedeutende Belastung für eine nachhaltige Erholung darstellen. Kommt hinzu, dass die Wahrscheinlichkeit von Rezessionen insbesondere in den EU-Ländern heute sehr hoch ist.

Entwicklung der Volatilität

Die Volatilität ist für die Aktienmärkte mit einem Fieberthermometer vergleichbar. Je höher die Risiken und der Abwärtsdruck ist, desto höher notiert die Volatilität im Tageshandel. Wenn wir den grössten Aktienmarkt der Welt und da den wichtigen Aktienindex S&P500 näher betrachten, so stellen wir folgendes fest: Der Aktienindex ist von seinem Höchststand per Anfang Jahr um über 27% gesunken und befindet sich damit in einer Börsenbaisse. Gleichzeitig erreichte der Volatilitätsindex VIX desselben Aktienindex im März 2022 einen Höchststand bei 38,94%. Dies ist zwar deutlich höher als im langfristigen Durchschnitt aber angesichts der aktuellen Lage nicht überaus hoch. In früheren Börsenbaissen und Börsencrashs erreichte der VIX teils deutlich höhere Werte. 

Ähnliche Werte wurden in den Jahren 1990/91 (Rezession nach der US-Sparkassenkrise), 1997 (Asien- und Russlandkrise) und 2018 (kurzer Volatilitätsschock) erreicht. In diesen Zeitpunkten erreichte der S&P500 nur im Jahre 1990 mit einem Minus von 21,2% knapp das Baisseniveau. In den Jahren 1997 und 2018 waren gar keine Baissen feststellbar. Von einer Börsenbaisse spricht man, wenn die Differenz von einem Höchst- zu einem Tiefstkurs mehr als 20% ausmacht und die Abwärtsbewegung sich über einen längeren Zeithorizont erstreckt (mehrere Monate). 

Mit 40% – 50% deutlich höher notierte der VIX-Index in den Jahren 1998 (Kollaps Hedge-Fund LTCM), 2001/2002 (Platzen der Technologieblase), 2010 (EURO-Krise, Rettungspaket für Griechenland), 2011 (USA verlieren AAA-Rating von S&P) und 2015 (Wirtschaftseinbruch China). Lediglich in der Zeitspanne 2001/ 2002 durchlief der S&P500 eine Baisse, die aber sehr heftig ausfiel.

Die höchsten Stände erreichte der VIX-Index in den letzten 30 Jahren in der Finanzkrise und in der Coronapandemie mit Indexwerten, die in der Spitze mehr als 80% ausmachten. In beiden Phasen notierte der Aktienindex klar im Baissebereich. In der Coronapandemie war der Einbruch nur von kurzer Dauer. Ganz anders in der Finanzkrise vor rund 14 Jahren. Damals büsste der S&P 500 über eine Dauer von 17 Monaten über 53% seines Werts ein.

Fazit: Die aktuelle Weltlage und die steigenden Zinsen bleiben vorderhand bedeutende Belastungsfaktoren für die Aktienmärkte. An den Volatilitätsindices ist abzulesen, dass die Anleger noch nicht in Panik geraten sind, wie dies beispielsweise in der Finanzkrise und in der Coronapandemie der Fall war. Die Wahrscheinlichkeit einer Bärenmarktrally ist daher wohl grösser als dass die Börsenbaisse in diesen Tagen endet.