Wir stecken in einer Finanzrepression – doch was ist dies überhaupt?

12.11.2021 – Der Begriff „Finanzrepression“ (englisch „financial repression“) taucht mehr und mehr in der Fachpresse auf. Damit bezeichnet man eine staatliche Beeinflussung, insbesondere durch die Zentralbanken. Dies erfolgt vor allem mit Hilfe der Zinssätze auf den Finanzmärkten in einer Weise, dass Sparer oder Geldanleger einen schleichenden Verlust zugunsten des Staates erleiden. Liegt dies derzeit vor?

Die Antwort ist inzwischen klar ja. Einerseits haben wir stark gestiegene Inflationsraten und andererseits beeinflussen die führenden Zentralbanken weiterhin die Zinssätze und halten diese auf tiefen Niveaus. Immer noch kaufen Zentralbanken weltweit Obligationen am Markt auf und halten so eine „künstliche“ Nachfrage aufrecht und damit das Zinsniveau nicht nur im Geldmarkt (kurzfristige Anlagen) sondern eben auch am Kapitalmarkt (längerlaufende Zinsanlagen) tief.

Diese Woche wurde die neueste Inflationsrate in den USA publiziert. Die Konsumentenpreise sind dort im Jahresvergleich um hohe 6,2% angestiegen, was den höchsten Wert seit November 1990 bedeutet (nach 5,4% im Oktober). Dies war höher als erwartet. Weiterhin gehen Zentralbanken und viele Ökonomen von einem vorübergehenden Teuerungsschub aus, doch der Glaube daran bröckelt zunehmend. Auch in Europa haben die Inflationsraten in vielen Ländern kräftige Zuwachsraten verzeichnet. In der Schweiz ist dieser Effekt deutlich weniger bemerkbar, liegen wir doch bei einer Inflationsrate von 1,2% (Oktober).

Seit dem 15. März 2020 liegen die Leitzinsen der US-Zentralbank FED in einem Zinsband von 0% – 0,25%. Die Diskussionen um Zinserhöhungen nehmen zwar zu, doch in den nächsten Monaten ist kaum mit einer Anpassung zu rechnen. Für die Anleger ist das Renditeniveau von Staatsobligationen sehr wichtig. Dieses liegt für 10-Jahresobligationen in den USA (US-Staatsanleihen) derzeit bei 1,57%. Diese Zinssätze lagen vor einem Jahr noch klar unter 1% und sind somit doch ziemlich angestiegen. Aber die Teuerungsrate ist in den USA deutlich stärker gestiegen. Mit den aktuellen Daten liegt somit eine negative Realverzinsung vor (Zinssätze minus Inflationsrate). Wichtiger als die aktuelle Inflation sind natürlich die zu erwartenden Inflationszahlen in den nächsten Monaten und Jahren. Sollte sich die Teuerung wie von vielen erwartet stark zurückbilden, dann ist der Spuck wohl bald vorbei. Sollten sich die Teuerungsraten aber über einen längeren Zeitraum auf dem erhöhten Niveau halten, so werden Sparer und Anleger über einen längeren Zeitraum mit negativen Realrenditen konfrontiert bleiben.

Wer ist daran interessiert, dass dies so bleibt? Diese Situation ist ein gutes Umfeld für Schuldner. Die höheren Teuerungsraten lassen die bestehenden Schulden aus realer Sicht langsam aber stetig schrumpfen. Auf der anderen Seite sind die Kosten für ihre Schulden (Zinsen) nur wenig angestiegen. Zu den grossen Schuldnern gehören viele bedeutende Staaten, so vorallem Japan, die USA und viele grosse europäische Nationen. Und da schliesst sich ein Kreis, der für Sparer und Anleger einiges an Unheil verspricht. Bei den Sparern, Anlegern und auch den Rentnern nimmt der Wert des Geldes (ihrer Anlagen, ihrer Rente) real betrachtet laufend ab. Die hoch verschuldeten Staaten können sich höhere Zinsen kaum leisten. Und so liegt ein sehr grosses Interesse vor, die Zinsen möglichst lange auf dem heutigen, historisch tiefen Niveau zu halten – auch wenn die Teuerungsraten noch weiter steigen oder hoch bleiben sollten.

Das kleine folgende Beispiel zeigt die aktuelle Situation für einen Sparer in den USA auf:

Gehen wir davon aus, dass der sein Geld zu einem Zins von 1,2% anlegen kann und die aktuelle Teuerungsrate bei 6,2% bleibt. Es liegt also eine negative Realrendite von 5% vor. Gehen wir weiter davon aus, dass er USD 100’000 angelegt hat. Damit könnte er sich heute einen „Warenkorb“ im Wert von USD 100’000 leisten. Nach einem Jahr nimmt sein Sparkapital um die 1,2% zu und liegt damit bei USD 101’200. Gleichzeitig ist der vergleichbare Warenkorb aber teurer geworden und er müsste dafür USD 106’200 hinblättern. Der Sparer kann sich also nicht mehr die gleichen Güter leisten. Im zweiten Jahr steigt sein Sparkapital auf USD 102’414 – die Kosten für den gleichen Warenkorb aber auf USD 112’784. Nach fünf Jahren stehen wir bei USD 106’146 und USD 135’089. Der Sparer würde somit nach 5 Jahren und bei gleichbleibender Realrendite gut 27% mehr Geld benötigen, um sich den ursprünglichen Warenkorb leisten zu können. Das Beispiel kann in umgekehrter Betrachtung auch für Schuldner durchgerechnet werden. Real betrachtet sinken die bestehenden Schulden im selben Ausmass.

In der Schweiz ist die Ausgangslage deutlich weniger dramatisch. Doch auch hier liegt die Realverzinsung derzeit im Minus. Bei sehr guter Schuldnerqualität liegen die Renditen weiterhin unter 0%, während die Inflationsrate wie bereits erwähnt auf 1,2% angestiegen ist.

Fazit: Eine Finanzrepression ist finanziell betrachtet Gift für Sparer, Anleger und Rentner aber gut für Schuldner. Es ist zu befürchten, dass die Lage länger anhalten wird, als viele heute denken. Zu bedeutend sind hier die Interessen der hoch verschuldeten Länder.